Die Situation
Belgien betreibt zwei Atomkraftwerke – Tihange, 30 km südwestlich Liège, und Doel, 15 km westlich des Stadtzentrums von Antwerpen. Die drei Druckwasserreaktoren des AKW Tihange sind seit 1975, 1983 und 1985 in Betrieb, die vier Druckwasserreaktoren des AKW Doel seit 1975 (2), 1982 und 1985. An der Südwestgrenze Belgien liegt an der Maas das französischen AKW Chooz mit drei Druckwasserreaktoren, der älteste in Betrieb seit 1967. Ca. 30 km westlich von Doel wird im niederländischen AKW Borssele ein weiterer Druckwasserreaktor seit 1973 betrieben. Hinzu kommt das belgische Kernforschungszentrum SEK·CEN in Mol nahe der niederländischen Grenze, in dem noch zwei Forschungsreaktoren seit 1956 und 1961 in Betrieb sind.
In allen genannten Atomkraftwerken werden Reaktoren betrieben, die zu den ältesten in Europa zählen. Abgesehen von den grundsätzlich mit dem Betriebsalter wachsenden Risiken bestehen jedoch bei mindestens zwei Reaktoren ganz besondere Sicherheitsbedenken: Seit 2012 werden bei Sicherheitüberprüfungen an den Reaktordruckgefäßen der Reaktoren Tihange 2 und Doel 3 Haarrisse in hoher und zunehmender Zahl festgestellt (siehe z.B.). Das Bersten der Reaktordruckgefäße würde ausgedehnte Landstriche auf unabsehbare Zeit unbewohnbar machen. Betroffen wären Großstädte in Belgien und in den Niederlanden – in Deutschland das nur 65 km von Tihange entfernte Aachen (siehe Studie des Instituts für Sicherheits- und Risikowissenschaften der Universität für Bodenkultur, Wien).
Die unsichtbare Gefahr
Radioaktive Strahlung ist unsichtbar und nicht zu spüren. Das verunsichert. Denn Strahlung, die von radioaktiven Substanzen ausgeht, ist gefährlich. Sie kann – selbst bei niedrigster Stärke – die Gesundheit schädigen. Es ist deshalb eines unserer Grundbedürfnisse, dass wir uns informieren können, ob und in welchem Maße wir erhöhter radioaktive Strahlung ausgesetzt sind.
Ein besonderes Informationsbedürfnis haben die Menschen in Regionen, in denen die Gefahr gegeben ist, dass radioaktive Strahlung deutlich über dem Niveau der Grundstrahlung auftreten könnte. Diese Gefahr ist in der Umgebung von Kernkraftwerken grundsätzlich gegeben. Sie ist besonders hoch, wenn Reaktoren infolge ihres Alters, ihrer Bauart oder ihres technischen Zustands eine erhöhte Störanfälligkeit aufweisen. Die Region um die Atomkraftwerke Tihange und Doel ist davon unmittelbar betroffen!
Wissen erfordert Messen!
Mit speziellen Sensoren kann radioaktive Strahlung gemessen werden. Als Zahlenwerte oder als Messkurven dargestellt wird sie ‚sichtbar‘. Ein quantitativer Bezug zu Norm- und Grenzwerten macht ihre Gefahr einschätzbar. Die Aufzeichnung ihrer zeitlichen Entwicklung ermöglicht es, Aussagen darüber zu treffen, ob und ggf. welche Maßnahmen für die Vorsorge und den Gesundheitsschutz veranlasst werden sollten.
Medizinischer Schutz fordert frühzeitige Information
Die Initiative einer Aachener Gruppe von Ärztinnen und Ärzten des IPPNW, Politik und Behörden zur medizinischen Vorsorge für den Ernstfall aufzufordern (u.a. Bereitstellung von Jodtabletten), machte die Notwendigkeit einer frühestmöglichen Information über Gefahrensituationen deutlich. Die unvermeidlichen Komplikationen in der grenzüberschreitenden behördlichen Zusammenarbeit ließen befürchten, dass für das Ergreifen der Vorsorgemaßnahmen wertvolle Stunden ungenutzt vergehen würden. Die Idee entstand, ein unabhängiges grenzübergreifendes Netz zu schaffen, mit dem ungewöhnliche Entwicklungen der radioaktiven Strahlung bereits im Umfeld der AKWs detektiert werden könnten. Das TDRM-Projekt, gestartet im Dezember 2016, setzt diese Idee um.